Orchestrale Musik von reiner Schönheit: Maria Schneider

Die am 27. November 1960 in Windom im amerikanischen Bundesstaat Minnesota geborene Komponistin, Arrangeurin und Ensembleleiterin Maria Schneider gehört längst zur ersten Liga des Big Band-Jazz. Mit ihrer akustischen Referenz an ihren großen Lehrmeister Gil Evans (1912 – 1988), dem Album «Evanescence», gelang ihr 1994 der Durchbruch in der männerdominierten Szene des großorchestralen Jazz. Mit der eigenständigen, vielschichtige Stimmführung, den fein nuancierten polyrhythmischen Verästelungen, der Klangvielfalt, den zarten, ja subtilsten Schattierungen und dem eindrucksvollen Sinn für Formen, den sie auf diesem Album demonstrierte, katapultierte sich die hochtalentierte Künstlerin schlagartig an die Spitze der Big Band-Kultur.

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Maria Schneider ©Wolfgang Gonaus

Daß der Weg dahin jedoch alles andere als leicht war, erzählte Maria Schneider im September 2000 der Chefredakteurin der einzigen bedeutenden auch in Österreich erhältlichen deutschsprachigen Jazz-Zeitschrift «Jazz Podium»: «Ich konnte keine Plattenfirma finden, die gewillt war, eine Produktion mit meiner Band zu machen. Somit setzte ich mein eigenes Geld dafür ein. Es kostete mich ein Jahr, diese Produktion dann zu verkaufen. Einige Plattenfirmen sagten, sie wüßten nicht, wie sie mich vermarkten sollten. Schließlich traf ich Mathias Winckelmann von Enja Records in München, und er zeigte sich sehr interessiert, kaufte mir die Produktion ab.»
Seither hat Enja Records – Maria Schneider ist diesem Label weitgehend treu geblieben – einige weitere Schneider-CDs veröffentlicht. 1996 erschien das Album «Coming About», 2000 folgte «Allegresse». Auf die Frage, warum zwischen den einzelnen Produktionen eine relativ lange Zeit lag, antwortete Maria Schneider im bereits zitierten Interview: «Es gab eine Zeitspanne, in der ich fühlte, daß mir keine weiteren Einfälle für die nächste CD in den Sinn kamen. Ich wollte dann etwas kreieren, das einfach wunderschön ist, nicht etwas, das stark zu beeindrucken sucht. Es sollte Musik von reiner Schönheit sein. Manchmal kann eine Big Band wie eine eiserne Maschine sein, die eine Menge trickreicher Dinge vollzieht. Ich wollte Musik schaffen, die Gefühle hervorzurufen imstande ist, Musik, die einen mit Wärme und Schönheit geradezu umschließt …»

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Maria Schneider © Wolfgang Gonaus

Maria Schneider erhielt von ihrem dritten Lebensjahr an Klavierunterricht, spielte in ihrer Schulzeit außerdem Klarinette und studierte in den Jahren 1983 und 1984 an der University of Minnesota und an der University of Miami. Ihren Abschluß erwarb sie an der Eastman School of Music in Rochester im Staat New York, wo George Russell einer ihrer Lehrer war. Daneben studierte sie von 1986 bis 1991 privat bei einer der wesentlichsten Persönlichkeiten des orchestralen Modern Jazz, dem 1929 geborenen Pianisten, Posaunisten und Komponisten Bob Brookmeyer, der seinerseits u. a. in der Gerry Mulligan Concert Jazz Band, im Thad Jones-Mel Lewis Jazz Orchestra, der WDR Big Band Köln sowie in eigenen Bands wie dem New Art Orchestra mitwirkte.
Zunächst war Maria Schneider für Brookmeyer wie auch für Thad Jones und Gil Evans als Notenkopistin tätig. Letzterer beschäftigte die junge Künstlerin schließlich als Assistentin. Bis zu Evans’ Tod konnte sie in dieser Funktion auch kompositorisch an seinen wichtigen späten Projekten mitarbeiten, etwa an der Musik zum Film «The Color of Money» von Martin Scorsese aus dem Jahr 1986 und an der Musik für eine Europa-Tournee mit dem Rocksänger Sting im Jahr 1987. Neben diesen Tätigkeiten schrieb Maria Schneider Arrangements für die Jazzorchester von Woody Herman und Mel Lewis sowie für europäische Großformationen wie das Stockholm Jazz Orchestra, das Danish Radio Jazz Orchestra oder das UMO Jazz Orchestra in Helsinki. 1993 leitete sie beim Spoleto Festival USA das Gil Evans Orchestra, ein Jahr später bei der Uraufführung ihrer Auftragskomposition «El Viento» das Carnegie Hall Jazz Orchestra und 1996 das JazzBaltica-Ensemble.

Auftragskompositionen und Gastdirigate füllten somit die Pausen, die sich Maria Schneider in der Arbeit mit ihrer eigenen Big Band, die sie schon 1989 gemeinsam mit dem Posaunisten und Arrangeur John Fedchock gegründet hatte, immer wieder gönnte. Dieser Big Band gehörten zeitweise Spitzensolisten wie der Trompeter Tim Hagans, der Saxophonist Rick Margitza, der Pianist Kenny Werner oder der Kontrabassist Jay Anderson, der auch heute Abend zu hören ist, an. Im Laufe der 90er Jahre wurde Maria Schneider daher in Kritiker- und Leserumfragen wichtiger amerikanischer Jazz-Magazine wie «Down Beat» mehrfach zur besten Ensembleleiterin, Arrangeurin oder Komponistin gekürt. Heute unterrichtet Maria Schneider an der New Yorker New School for Jazz and Contemporary Music sowie an der Manhattan School of Music und gibt an verschiedenen europäischen Hochschulen regelmäßig Meisterkurse.

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Maria Schneider ©Wolfgang Gonaus

Über ihre individuelle Art des Orchestrierens äußerte sich Maria Schneider in einem Interview folgendermaßen: «Ich breche die übliche Orchestration auf, erweitere damit die Klangfarben des Orchesters. Was die Bläser betrifft, so sehe ich sie hauptsächlich in drei Farben. Wenn etwa die Trompeten für Rot stehen, die Posaunen für Blau und die Saxophone für Gelb, dann sind das reine Primärfarben. Die Tradition der Big Band-Musik benutzt diese Primärfarben, manchmal wird das Blech zusammen eingesetzt, und dann werden die Holzbläser als Kontrast dazugesellt. Ich mag die Vorstellung, all diese Farben zu mischen und dadurch subtile Abstufungen zu erhalten. Das kann ich etwa durch den Einsatz verschiedener Dämpfer beim Blech erreichen, auch durch das Vermischen mit einigen Holzbläsern. Ich kann etwa ein Flügelhorn (beispielsweise das von Ingrid Jensen) mit einer gedämpften Posaune und einer Klarinette für eine bestimmte Passage oder Linie benutzen, dann plötzlich den Sound der Bläser mit Marmon Mutes dagegensetzen. Wenn du all das hörst, nimmst du diese Sounds wahr, weißt aber nicht gleich, wie sie entstehen.»
Die Mitglieder des Maria Schneider Orchestra gehören allesamt der bestens ausgebildeten jüngeren amerikanischen Musikergeneration an. Neben dem bereits erwähnten virtuosen Kontrabassisten Jay Anderson, dem oft solistisch hervortretenden Saxophonisten Scott Robinson und dem 1970 geborenen vielbeschäftigten Spitzenschlagzeuger Greg Hutchinson, der etwa auch mit Betty Carter, Ray Brown, Roy Hargrove zusammenarbeitet, ist insbesondere die kanadische Trompeterin und Flügelhornistin Ingrid Jensen hervorzuheben.

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Maria Schneider ©Wolfgang Gonaus

Ingrid Jensen, die eine der weltweit profiliertesten Instrumentalistinnen der zeitgenössischen Jazz-Szene ist, stellt zudem für das Wiener Publikum eine erfreuliche Wiederbegegnung dar: Sie begann ihre Laufbahn als Musikstudentin im Wien der frühen 90er Jahre und arbeitete damals auch mit Karl Ratzer und dem Upper Austrian Jazz Orchestra. 1994 legte sie in Wien ihre erste eigene CD «Five Moons Around Venus» vor, an der neben ihr der Saxophonist Herwig Gradischnig, der Pianist Oliver Kent, der Kontrabassist Hans Strasser und der Schlagzeuger Christian Salfellner mitwirkten und auf der sie neben Standards auch Eigenkompositionen, darunter den Titelsong, einspielte. Zurück in Kanada bzw. später in den USA entwickelte sie sich sehr schnell zu einer vielbeachteten Solistin mit einem respektablen Output an CDs, von denen wahrscheinlich das mit den renommierten Sidemen Gary Bartz (Saxophon), George Colligan (Klavier), Dwayne Burno (Baß) und Bill Stewart (Schlagzeug) sowie der Sängerin Jill Seifers aufgenommene Album «Here On Earth», auf dem Eigenkompositionen wie «Woodcarvings» und «Fallin’» zu hören sind, besonders dazu beigetragen hat, ihren guten Ruf zu festigen. Mit Maria Schneider arbeitet Ingrid Jensen, die auch Mitglied der sich ausschließlich aus Frauen zusammensetzenden Diva Big Band war, seit Mitte der 90er Jahre zusammen, als sie auch den kanadischen Juno Award als beste Mainstream-Jazzmusikerin erhielt.

Klaus Schulz (Abendprogramm 1. Dezember 2006)

Über ihr heute zur Uraufführung gelangendes Werk «Cerulean Skies», das sie als Auftragswerk für «New Crowned Hope» komponiert hat, schreibt Maria Schneider:
«In addition to ‹cerulean› being a shade of blue like the sky, there‘s a very special and rather uncommon bird called a Cerulean Warbler. It is one of my favorite birds. It comes up all the way from the mountains in Northern South America and passes through Central Park sometimes as it heads on its way up north of here to nest. It‘s a rare treat and a total mind-blowing experience to catch a glimpse of one of those little creatures. I almost had a heart attack the first time I saw one!»

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Maria Schneider ©Wolfgang Gonaus

Freitag 1. Dezember 2006 · 19.30 Uhr Zyklus Jazz / 3. Konzert Großer Saal

Maria Schneider «Cerulean Skies»

Maria Schneider Orchestra
Steve Wilson Altflöte, Klarinette, Saxophone
Charles Pillow Flöten, Oboe, Englischhorn, Klarinette, Saxophone
Rich Perry Flöte, Saxophon
Donny McCaslin Flöte, Saxophon
Scott Robinson Flöte, Klarinetten, Saxophon
Daniel O‘Brien Trompete, Flügelhorn
Jason Carder Trompete, Flügelhorn
Laurie Frink Trompete, Flügelhorn
Ingrid Jensen Trompete, Flügelhorn
Keith O‘Quinn Posaune
Rock Ciccarone Posaune
Larry Farrell Posaune
George Flynn Baßposaune
Ben Monder Gitarre
Frank Kimbrough Klavier
Gary Versace Akkordeon
Jay Anderson Kontrabaß
Greg Hutchinson Schlagzeug
Jon Wikan Perkussion
Gonzalo Grau Perkussion
Sofia Koutsovitis Stimme
Leitung Maria Schneider

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