Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sonate für Violine und Klavier D-Dur op. 12/1 (1797/98)
Allegro con brio
Tema con Variazioni. Andante con moto
Rondo. Allegro
Alle drei Sonaten op. 12 sind dreisätzig. Allegrosätze in Sonatensatzform stehen am Anfang, Rondosätze beschließen die Werke. Die Zwischensätze sind jeweils »langsame« Sätze, wobei diese unterschiedliche Modelle und Ausdrucksformen repräsentieren, so dass vor allem von den mittleren Sätzen her die Sonaten ihre jeweils eigene Individualität gewinnen. Diese Sätze sind es im Übrigen auch, die sehr deutlich das Bemühen nach dialogischer Ausgewogenheit der beiden Instrumentalparts erkennen lassen und immer wieder Passagen aufweisen, in denen aus der bewussten Aufeinanderbezogenheit der beiden Instrumente überaus eindringliche Stimmungen und lyrische Qualitäten hervorgehen.
Ein sinnfälliges Beispiel für Beethovens Bemühen, die musikalische Gestaltung auf einen Dialog der Instrumente zu gründen, bietet das Andante con moto der Sonate op. 12/1, ein Variationensatz. Die beiden Thementeile werden jeweils wiederholt; dabei wird die jeweilige thematische Substanz in der Abfolge gleichmäßig auf das Klavier und die Violine übertragen. In den Variationen 1 und 2 greift Beethoven dieses Verfahren auf, indem zunächst dem Klavier die führende Rolle zukommt, in der 2. Variation hingegen die Violine die erste Rolle behauptet. Beide Variationen bilden im Übrigen »verdeckte« Darstellungen des Themas, indem sowohl Klavier als auch Violine sofort ein reiches ornamentales Spiel entfalten und dabei durch die Unterschiedlichkeit der figurativen Grundmuster zugleich in eine sehr verbindliche Korrespondenz treten. Die 3. Variation, die in a-moll steht, macht diesen Zusammenhang und die eingeschlagene Entwicklung dann noch deutlicher. In dichter Aufeinanderfolge wechseln nun Klavier und Violine die Führung und verzahnen sich damit gleichzeitig derart, dass daraus eine spannungsvolle Dramatik aufgebaut werden kann. Diese Dramatik beruht allerdings nicht nur auf diesem Führungswechsel der Instrumente, sondern entscheidend darauf, dass Beethoven den Themenkopf vervollständigt und ihn abrupt mit einer im Staccato abwärtsgeführten Tonleiterfigur konfrontiert. Dieser harte und sehr dramatisch wirkende, durch den Wechsel von Piano und Forte noch besonders unterstrichene Kontrast, der nun auf immer wieder andere Weise den »Dialog« der beiden Instrumente bestimmt, charakterisiert diese 3. Variation, der dann eine codaartige 4. Variation folgt, in der die beiden Parts des Klaviers und der Violine auf höchst bemerkenswerte Weise miteinander verklammert sind, und zwar nun dadurch, dass beide Parts unterschiedliche musikalische Substanzen aufweisen. Im Unterschied zur 3. Variation, deren Ereignisraster kleingliedrig ist, ist die 4. Variation großflächig angelegt. Die Dynamik verbleibt bis auf vereinzelte Sforzati im Piano-Bereich. Am Ende löst Beethoven den Verlauf in eine motivische Fragmentierung auf, die dann durch eine sechstaktige Abschlussphase und Kadenz wieder eingefangen wird.
Ebenso wie dieser Variationensatz schon eine beachtliche künstlerische Selbständigkeit erkennen lässt, verrät die gesamte Sonate in D-Dur Selbstbewusstsein und gestalterischen Eigensinn. Der erste Satz, Allegro con brio, beginnt mit einer viertaktigen Einleitung, in der der D-Dur-Klang in akkordisch »gebrochener« Form exponiert wird. Dieser Themenkopf wirkt ungemein kraftvoll und ausstrahlend; in ihm liegt der Impuls für einen Bewegungsablauf, der gleichsam den gesamten Satz durchzieht. Typisch für Beethoven ist es auch, wie er nach dem Hauptthemensatz die Achtelbewegung zur Sechzehntelbewegung steigert und dann den Überleitungssatz aus der Kombination von Achtel- und Sechzehntelbewegungen gestaltet. Einfache Skalenläufe abwärts und schließlich aufwärts verleihen der Satzentwicklung eine dichte Spannung. Das zweite Thema steht dazu in starkem Kontrast, auch wenn für das Thema der sequenzierend abwärts geführte Skalenlauf in Achtelbewegung gestaltprägend und dadurch eine strukturelle Verklammerung mit dem Hauptsatz gegeben ist. Für den Kontrast entscheidend ist die ausgedünnte, überaus sparsame Faktur des Satzes. Die Wiederholung des zweiten Themas verknüpft Beethoven mit der Variante der Triolenbewegung, die fast ornamental wirkt, dann aber für den Fortlauf des Satzes noch einmal ein weiteres bestimmendes Bewegungsmuster bedeutet, das zugleich dadurch, dass die Triolen gebrochene Akkorde darstellen, das wichtige Gestaltmoment aus dem ersten Themenkopf aufnimmt. Die wiederum erfolgende Bewegungsverdichtung bremst Beethoven durch eine Zäsur – durch einen viertaktigen akkordischen Satz, in dem Klavier und Violine in homophonem Satz aufs Engste verschränkt sind, bevor dann die Exposition in leichtflüssigem Spiel mit Sechzehntelbewegungen zu Ende gebracht wird.
Wie formbewusst und gestalterisch reflexiv Beethoven arbeitet, zeigt eindrucksvoll der Beginn der Durchführung. Beethoven greift auf die noch im Gedächtnis haftende Zäsurpassage zurück. Diesmal allerdings erklingt sie im Piano; wichtiger aber noch ist, dass Beethoven den Durchführungsbeginn in F-Dur, also eine Terz tiefer zu A-Dur, ansetzt und die gesamte Durchführung im Tonartenbereich F-Dur/d-moll/f-moll ansiedelt. In der materiellen Verarbeitung konzentriert er sich im ersten Teil der Durchführung ganz auf den zweiten Gedanken des Hauptthemas, um dabei die beiden Instrumente in ein vollkommen ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Ein weiteres beherrschendes Merkmal bildet die durchgehende Achtelbewegung, die im zweiten Teil der Durchführung dann von der Violine übernommen wird, während das Klavier mit der gebrochenen Akkordbewegung auf die Reprise vorbereitet.
Der Schlusssatz ist von Spielfreude und Unbekümmertheit gekennzeichnet, wobei die Impulse wechselweise von beiden Instrumenten ausgehen. Er zeigt ein hohes Maß an Formgestaltung und sicherem Gespür für die Dimensionierung der Musik und ihre formale Entfaltung. Prinzip dabei ist der Kontrast zwischen dem thematischen Hauptgedanken und den »Seitengedanken«. So setzt Beethoven dem diatonisch geprägten Hauptgedanken einen Seitengedanken entgegen, der einerseits durch die Sechzehntelpassage eine Steigerung der Bewegung darstellt und andererseits durch den chromatischen Skalenlauf sowie eine chromatische »Floskel« aus dem Gleichlauf des Hauptthemas ausbricht. Die Chromatisierung der Gestaltung aber erscheint dabei als Ableitung der »eigentlichen« Pointe des Hauptthemas, des Leitton-Vorhalts und der Sforzato-Akzentuierung des Auflösungstons auf der unbetonten zweiten Zählzeit im zweiten Takt. Hier freilich ist der Leitton in seine »normale« Auftaktposition gebracht.
Beethoven hat in diesem Satz die Rondoform mit der Sonatensatzform verschränkt. An der Art, wie er dies tut, wird auch erkennbar, warum ihn diese Kombination anzog; sie gibt ihm einen angemessenen Rahmen, um aus seinen musikalischen Gedanken Entwicklungsprozesse hervorgehen zu lassen, was die Rondoform als doch streng statische Form kaum gestattet. Sehr eindrucksvoll nimmt sich unter diesem Aspekt denn auch der Teil aus, der gleichsam eine »Durchführung« vertritt. Er beginnt in F-Dur, führt dann über die Tonart B-Dur zurück zum Hauptthema bzw. zur Quasi-Reprise. Spannend an diesem Formteil ist, dass er auf den ersten Satz zurückweist, und dies in mehrerlei Hinsicht: Auch im ersten Satz beginnt die Durchführung in F-Dur. Die Parallele der Tonartenkonstellation setzt den ersten und dritten Satz in eine Beziehung, die unter dem Aspekt einer Verknüpfung der Sätze in einer übergreifenden Wirkeinheit zu verstehen ist. Untermauert – oder besser: – nahegelegt wird diese Interpretation aber vollgültig durch die Melodiegestalt. Sie besteht aus zwei Grundelementen: dem melodisch aufwärtsgebrochenen Akkord und der sich unmittelbar daran anschließenden melodischen Tonleiterbewegung. Genau diese beiden Elemente – in ihrer Gegenüberstellung wie Verknüpfung – bildeten die strukturellen Bestimmungsmomente im ersten Satz.
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Moments Musicaux #23
Till Fellner Klavier
Julian Kainrath Violine