Johann Sebastian Bach (1685–1750)

Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007 für Violoncello solo (ca. 1720)

Prélude
Allemande
Courante
Sarabande
Menuet I und II
Gigue

Johann Ernst Rentsch d. Ä.: (Umstrittenes) Porträt von Johann Sebastian Bach (1715)

Suiten für Violoncello solo

Einführung

Die Solosuiten für Violoncello von Johann Sebastian Bach zählen wie die entsprechenden Werke des Komponisten für Solo­vio­line zu den faszinierendsten Leistungen seines Genies. Das Er­staun­liche liegt dabei einerseits in der selbstgewählten Beschrän­kung auf ein einziges Melodieinstrument – und das in einem Zeit­alter, da selbst Orchesterwerke der Harmoniefüllung nicht entbehren durften – andererseits in der Fülle der musikalischen Ideen, die selbst bei dieser äußerlichen Beschränkung zum Ausdruck gebracht werden konnte. Leider ist so gut wie gar nichts über die Vor­aussetzungen bekannt, die zur Komposition dieser Solower­ke geführt haben. Jedenfalls sind sie um 1720 zur Zeit von Bachs Aufenthalt am Köthener Hof entstanden und das keineswegs als Gelegenheitsarbeiten, wie die besonders sauberen Handschrif­ten beweisen. Möglicher­weise sind sie für den Gambisten und Cel­listen der fürstlich Anhalt-Köthenschen Kapelle, Ferdinand Christian Abel, be­­stimmt gewesen, der bis 1737 im Dienst des Landesherrn stand.

In ähnlicher Weise wie bei den Violinsolowerken, allerdings nicht ganz so häufig, wird auch bei den Violoncellosuiten akkordisches oder polyphones Spiel verlangt, das heißt, dass die Melodie­stim­me durch drei- bis viertönige Akkorde oder durch eine Ge­gen­stim­me gestützt erscheint. Diese Mehr­stimmigkeit auf einem In­stru­ment, das a priori nicht dafür geschaffen ist, hat die Musik­for­scher immer wieder in eine falsche Richtung gewiesen. Schon Albert Schweitzer fand: »Ein arpeggiertes polyphones Spiel ist und bleibt eben ein Unding.« Er hat dann die Theorie vertreten, dass die Akkorde, die etwa auf der Violine nur »gebrochen«, also in Sukzession der Töne, dargestellt werden können, zur Zeit Bachs »ungebrochen« gespielt wurden, und dies mit Hilfe des damals angeblich noch verbreiteten primitiven, stark gewölbten Bogens, dessen Haare mit dem Daumen der rechten Hand mehr oder weniger gespannt wurden, sodass man an bestimmten Stellen den Druck verringern und damit ein Bestreichen von mehr als zwei Saiten ermöglichen konnte.

Die Musikforschung, die teilweise einige Zeit den Nachbau solcher Bogen verfolgt hat, hat inzwischen diese Hypothese widerlegt: Weder konnte der alte Rundbogen während des Spiels ge- oder entspannt werden, noch war er zu Bachs Zeiten noch in Ver­wendung. Hingegen waren die Stege der Streich­instrumente zu Bachs Zeiten noch weniger gewölbt als heute, sodass man bei einigem Druck auch bei gebrochener (arpeggierter) Darstellung zu einem fast akkordischen Eindruck ge­langen konnte. Im Wesentlichen dürften die Werke zu Bachs Zei­ten nicht anders interpretiert worden sein als heute. Im Gegen­satz zu den korrespondierenden Violinwerken, von denen drei als Sonaten und drei als Suiten bezeichnet sind, handelt es sich bei den Solowerken für Cello ausschließlich um Suiten, also um An­ein­an­derreihungen von Tanzsätzen, die freilich zu Bachs Zeiten längst der Tanzpraxis entfremdet waren und somit als Stilisie­run­gen zu gelten haben.

Die traditionellen Suitensätze sind Allemande, Courante, Sara­ban­de und Gigue. Die um 1550 erstmals nachweisbare Alle­man­de war zu Bachs Zeiten ein längst nicht mehr getanzter, also quasi archaischer Schreittanz im 4/4-Takt, der gelegentlich nach seiner Übernahme in den französischen Kulturkreis durch ausgeschriebene Verzierungen auch bi­zarren Charakter annehmen konn­te. Die gleichfalls aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammende Courante, ein hö­fischer Tanz von lebhaftem Cha­rakter, existierte in einer französischen und italienischen Form. Die französische Form zeichnet sich durch Mischung von Taktarten (3/2 und 6/4) aus, während die italienische Form (Corrente), etwa in der C-Dur-Suite, aus gleich­mäßig da­hin­eilenden Passagen besteht.

Die erstaunlichste Mutation hat vermutlich der dritte Tanz des Sui­tenschemas durchgemacht: Die Sarabande, ein im 17. und 18. Jahrhundert vor allem in der Instrumentalmusik weit verbreiteter Tanz, hat sich wahrscheinlich aus einem in Andalusien beheimateten Fruchtbarkeitstanz entwickelt. Denkbar ist aber auch, dass die Sarabande von Mexiko nach Spanien eingeführt wurde: Der älteste, eindeutig datierte Nachweis für das Wort findet sich im mexikanischen »Ramo de la Inquisición«, demzufolge 1569 eine von Pedro de Trejo ver­fasste Sarabande während der Feier­lich­keiten am Fronleichnams­fest in Pátzcuaro gesungen wurde, wo­für sich ihr Verfasser drei Jahre später vor der Inquisition verantworten musste. Die erste Nennung des Stückes in Spanien ist zugleich sein Verbot: 1583 wurde das Singen der Sarabande unter Androhung hoher Geld- und Freiheitsstrafen untersagt. Nach diesem Zeitpunkt ist sie als Gesang und Tanz in Spanien etwa bei Cervantes und Lope de Vega belegt. Diesen Erwähnungen zufolge war sie ein ausgelassener, lasziver Tanz, von Paaren in Ge­genüberstellung ausgeführt, begleitet von Kastagnetten und bisweilen Schellentrommel. Von Spanien aus, wo sie trotz des Ver­botes 1618 am Hof eingeführt wurde, kam sie schon bald in andere europäische Länder; sie wurde z. B. 1625 am französischen Hof getanzt. Den vor 1650 geschriebenen Sarabanden liegt häufig ein von Fall zu Fall leicht variables harmonisches Schema zugrunde. Während die Sarabande in Frankreich vor 1650 allgemein ein schnel­ler Tanz war, der den Tänzern große Gewandheit abverlangte, verlangsamte sich ihr Tempo um die Mitte des 17. Jahr­hunderts. Die Notierung erfolgte gewöhnlich im 3/4- oder 3/2-Takt, charakteristisch ist die häufige Betonung auch der zweiten Zählzeit. Sarabandes gibt es bis etwa 1740 in der Klavier- und Ensemblemusik sowie in der Oper und im Ballett, wo sie gelegentlich auch gesungen wurden.

Die Gigue kommt aus England, Mat­the­son beschreibt ihren Cha­rakter als »einen hitzigen und flüchtigen Eifer, einen Zorn, der bald vergeht«. Er kannte die »Jig«, wie sie in England hieß, allerdings nicht getanzt, sondern nur in Form eines vir­tuosen Instru­men­talsatzes, wie er allein auf dem Kontinent Bestand hatte.

Andere Suitensätze, die weniger regelmäßig verwendet wurden, waren die Gavotte und die Bourrée (ein zweizeitiger fröhlicher Tanz, der vermutlich aus der Auvergne stammt und in dieser Pro­vinz noch gepflegt wird), ursprünglich französische Bau­­erntänze, die auch in höfische Kreise eindrangen und am deut­lichsten ihren Tanzcharakter bewahrt hatten. Das Menuett, dessen »Erfin­dung« traditionell Jean-Baptiste Lully zugeschrieben wird, war von Anbeginn an ein höfischer Schautanz feierlichen Cha­rak­ters – »ein durch elegante und noble Einfachheit gekennzeichneter Tanz; sein Tempo ist eher gemäßigt als schnell, und überdies kann man sagen, daß das Menuett der am wenigsten fröhliche aller auf unseren Bällen gespielten Tänze ist«, so Jean-Jacques Ros­seau in seinem »Dictionnaire de musique« (1764).

Oft wurden zwei Menuette (gelegentlich auch zwei Bour­rées oder Gavottes) in dieselbe Suite aufgenommen, wo­bei dann der zweite Tanz als Trio des ersten gespielt, also von jenem mittels Wie­derholung förmlich eingekreist wurde. Die Prä­lu­dien dienen in Bachs Cello­sui­ten als eine Art Vorbereitung für Spie­ler und Hörer, entwickeln sich aus improvisatorischer Grund­hal­tung, zeigen aber dennoch streng formalen Zuschnitt.

Die Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007 wird in ihrer thematischen Substanz durch das Figurationsmotiv bestimmt, welches das Pré­lude in einer dem ersten Präludium des »Wohltemperierten Kla­viers« ähnlichen Weise formt. Allemande, Courante und Sara­ban­de sowie das erste Menuett nehmen deutlich darauf Bezug; ja sogar die Harmoniefolgen des Prélude scheinen sich ungefähr zu wiederholen. Das zweite Menuett, das der Tradition nach als Trio des ersten gespielt wird, ist eine Mollversion der Vorlage. Der Schlusssatz ist eine Gigue, also ein Tanz im 6/8-Takt.

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Moments Musicaux #25

Clemens Hagen Violoncello
Julia Hagen Violoncello

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