Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Streichquartett e-moll op. 44/2 (1837)
Allegro assai appassionato
Scherzo. Allegro di molto
Andante
Presto agitato
»Die höchste Freude und der höchste Genuß ist doch eigentlich das Musizieren mit wenigen Freunden. Höchstens ein Quartett Gleichgesinnter – mehr brauchte ich jetzt nicht«, schrieb Mendelssohn 1847. Galt ihm Kammermusik in seinen letzten Lebensjahren als erholsames Refugium gegenüber seinen anstrengenden öffentlichen Auftritten als Dirigent, so bedeutete sie ihm in der Jugend ein Experimentierfeld, in dem er kompositionstechnische Neuerungen vor der Übertragung auf große Orchesterwerke ausprobieren konnte. Insbesondere das Streichquartett war seit Haydns
Pionierkompositionen diejenige musikalische Gattung, in der kompositorische Entwicklungen vorangetrieben wurden. Auch Mendelssohn stellte die Kammermusik trotz unzähliger »Lieder ohne Worte« über das Klavierschaffen, das hauptsächlich zum eigenen Gebrauch bestimmt war (Mendelssohn war ein glänzender Pianist). Ihn habe Kammermusik bislang stets mehr interessiert als Musik »fürs Clavier allein«, schrieb er 1825 an Hans Georg Nägeli.
In der Tat ist vor allem in seinen frühen Kompositionen der Kammermusikanteil erstaunlich hoch: Aus den ersten zehn Jahren seiner Schaffenszeit stammen neben einigen Klavierkammermusikwerken das berühmte Oktett für Streicher op. 20 und die drei Streichquartette Es-Dur WoO, a-moll op. 13 und Es-Dur op. 12 (in umgekehrter Zählung nach dem a-moll-Quartett entstanden). Nach einer längeren Pause eröffnete 1837 die Streichquartett-Trias op. 44 eine zweite Serie an Kammermusikwerken, die zehn Jahre später mit seinem op. 80 endete, einem seiner letzten Werke überhaupt. Mendelssohn hat sich also in seiner relativ kurzen Schaffenszeit dreimal mit der Gattung Streichquartett auseinandergesetzt. Die frühen Quartette op. 12 und 13 des damals 21-Jährigen – wohl die einzigen in der ersten Jahrhunderthälfte, die eine Konfrontation mit den damals als übermächtig und fremd empfundenen späten Beethoven-Quartetten wagten – und das schroff zerrissene, unter dem Eindruck des Todes seiner Schwester Fanny entstandene Spätwerk op. 80 bilden sozusagen den schaffenschronologischen Rahmen für Mendelssohns Hauptbeitrag zu dieser Gattung, den drei Streichquartetten op. 44. Deren Entstehung fällt in die Jahre 1837 und 1838, in eine Zeit, in der sich Mendelssohn als Leiter des Leipziger Gewandhausorchesters vornehmlich auf seine Dirigententätigkeit konzentrierte. Auch in stilistischer Hinsicht können die drei Quartette dieses Werkkomplexes als die «mittleren» bezeichnet werden, denn sie orientieren sich am stärksten an jenen Vorbildern, vor allem an Haydn und Mozart, die seit den 1780er-Jahren als verbindlich, als «klassisch» im Sinne des Vorbildlichen galten.
Mendelssohns Streichquartett e-moll op. 44/2 entstand als erstes der drei unter dieser Opusnummer zusammengefassten Werke. Die Uraufführung fand noch im selben Jahr im Leipziger Gewandhaus durch das Quartett Ferdinand Davids statt. In derselben Tonart wie das spätere Violinkonzert geschrieben, ahnt es auch insofern dessen liedhaften Charakter voraus, als eines der Instrumente fast ständig melodieführend ist. Auch der regelmäßige Zuschnitt der Perioden, der durch Vorhaltbildungen an korrespondierenden Stellen betont wird, verstärkt den Liedcharakter.
Dieser Zug ist überhaupt ein kennzeichnendes Merkmal von Mendelssohns Stilistik. Die Dialektik Beethovens tritt gegenüber dieser lyrischen Formdisposition zurück. Trotzdem hat Mendelssohn die Formschemata Beethovens übernommen bzw. die traditionelle Form der Sonate bevorzugt, und das so konstant, dass selbst das Scherzo kein Trio aufweist, sondern eine Durchführung an dessen Stelle setzt. Die Großform ist in diesem Fall aber nur Konvention: Das innere musikalische Geschehen baut nicht auf dem Kontrast, sondern auf der Einheit auf, das Element der Abwechslung wird lediglich auf der Ebene der Figuration und Koloristik angestrebt.
Unter diesem Aspekt haben auch Mendelssohns Kammermusikwerke ihre Meriten; die Geringschätzung, die ihnen heute oft entgegengebracht wird, geht vielfach auf den Umstand zurück, dass man in ihnen etwas entdecken will, was in ihnen nicht enthalten ist, speziell jene »Fortsetzung« Beethovens, die Jahrzehnte später – und erst durch den Einsatz von gegenüber Beethoven neuen Kunstmitteln – Johannes Brahms gelingen sollte.
Andrea Zschunke / Archiv
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