Wynton Marsalis

Jazz at Lincoln Center Orchestra & Wynton Marsalis

Wynton Marsalis ©Joe Martinez

Ein Drei-Tages-Fest wie eine Reise in die sepiafarbene Nostalgielandschaft des Jazz Age im Wiener Konzerthaus mit Wynton Marsalis: Wie es immer ein Fest ist, wenn sich der Star-Trompeter aus New Orleans, neunfache Grammy-Gewinner und künstlerische Leiter des »Jazz at Lincoln Center« für den Jazz als die klassische amerikanische Musik des 20. Jahrhunderts ins Zeug legt. Die von ihm 1991 mitbegründete Abteilung des New Yorker Lincoln Center for the Performing Arts ist die einflussreichste Jazzbehörde in Amerika. Und das hauseigene Orchester (JLCO) aus 15 hochkarätigen Solisten ein vitales Jazz-Archiv. Das Ensemble der Traditionspflege par excellence ist unterwegs mit einer Mission:  die improvisierte Musik der Väter und Großväter wieder auf die Hauptbühne der amerikanischen Kultur zurückzuführen, »das Gefühl des Jazz in die Welt hinauszutragen«. Das Repertoire reicht dabei von historischen Raritäten über Auftragswerke bis zu Arrangements der Klassiker von Duke Ellington, Count Basie, Fletcher Henderson, Thelonious Monk, Mary Lou Williams, Dizzy Gillespie, Benny Goodman, Chick Corea und vielen anderen.

An drei Abenden präsentiert das JLCO, eine der versiertesten Bigbands unserer Tage, im Wiener Konzerthaus drei verschiedene Projekte: Klassisches von Duke Ellington wird dabei ebenso leidenschaftlich interpretiert wie »The Music of Thelonious Monk«, der als exzentrische Lichtgestalt der Moderne in den 40ern avantgardistisch, in den 60ern konservativ war und seither zeitlos ist. Gefeiert werden schließlich am dritten Abend des Gastspiels 25 Jahre Demokratie in Südafrika. Wo sich eine Nation neu definiert. Wo eine junge Generation – die »Born Frees« genannt – ihre künstlerische Freiheit lebt. Mit den Sängern Melanie Scholtz und Vuyo Sotashe sowie dem Pianisten Nduduzo Makhathini, der zuvor auch im Rahmen der Monk-Hommage zu hören ist,  stellt das JLCO »The New South African Songbook« vor.

Wynton Marsalis (25/02/20 Großer Saal) ©Lukas Beck

Wynton Marsalis, Jahrgang 1961, ist kein Befürworter von Elektronik, Fusion, Jazz-Rock, Acid- und Hip-Hop-Jazz. Eine bessere Welt und seine heile Welt ist der Swing. Kunst und besonders Jazz »ist imstande dein Leben zu verbessern und zwar dauerhaft«, schreibt er in seinem Buch »Jazz, mein Leben – Von der Kraft der Improvisation« (Siedler Verlag, München 2010), einer leidenschaftlichen Liebeserklärung an die improvisierte Musik. Sein Credo: »Wir müssen den Swing wiederbeleben, und zwar nicht aus törichter Nostalgie, sondern weil er ein moderner Rhythmus ist. Er passt besser in die zunehmend vereinheitlichte Welt von heute als alles, was ein Drumcomputer produziert oder Leute aufnehmen, die nicht einmal zusammen im selben Aufnahmestudio sind.«

Marsalis war vor allem in den 90er-Jahren und ist bis heute mit dem immer gleichen Vorwurf konfrontiert: Er sei mit seinen »Originalsound«-Konzerten in die Traditionsfalle geraten. Er sei ein kalter, nur rekapitulierender Virtuose ohne eigene Identität. Dabei hat er nur eine andere Vorstellung: »Es ist sinnlos, ein Trompetensolo über einen Funk-Maschinenbeat zu legen und das als neue Form des Jazz zu verkaufen. Da fehlt die Identität.« Der große Archivar des alten Jazz vertritt einen klaren Standpunkt: »Bevor wir verstehen, was die Erweiterung einer Sache ist, müssen wir verstehen, was die Sache eigentlich ist.« Er hat im Grunde genommen einen Schlusspunkt gesetzt hinter eine lange Reihe von Experimenten und Avantgardismen und sagte: »Stop! Ehe wir uns verlieren, müssen wir einfach wieder sehen, woher wir kommen und alles noch einmal betrachten.« Plötzlich schien das genauere Hinschauen, das Innehalten eine neue Art des Fortschritts zu sein.

Ist denn eine Avantgarde im Jazz überflüssig? Marsalis antwortet mit einer Gegenfrage: »Wie lange hält sich eine Avantgarde denn so? Vielleicht war Monk in den Vierzigern avantgardistisch. In den Sechzigern war er konservativ. Sicher, die Zweite Wiener Schule und die Avantgarde der Nachkriegszeit waren sehr interessant. Aber ich mag keine hässlichen Klänge.« Musik müsse leicht zu verstehen sein.

JALCO (25/02/20 Großer Saal) ©Lukas Beck

Als 17-Jähriger ist Wynton gemeinsam mit seinem älteren Bruder Branford am Saxophon bei den Jazz Messengers, einer Keimzelle des Hardbop und einer bis in die 80er-Jahre bedeutenden Talenteschmiede des legendären Schlagzeugers Art Blakey (1919-1990). Der eine spielt später am Sax für Popstars wie Sting und gründet die Band Buckshot Lefonque, die fröhlich Jazz und Funk und HipHop kreuzt. Der andere, Stipendiat der renommierten Julliard School, kommt von der Klassik zurück zum Jazz – und wirft den Bruder 1985 aus seinem Septett. Der große Glaubenskrieg des Jazz wurde zum Familienstreit. Branford, der Erneuerer, und Wynton, der den Jazz im Neoklassizismus konserviert. Der Trompeter kommentierte es knapp: »Er ist Branford. Ich bin Wynton. Punkt.«

Sowohl 1983 als auch ein Jahr später bekam Marsalis als erster und einziger Künstler Grammy-Awards in den Sparten Jazz und Klassik. Letztere schätzt Wynton, »weil sie in Harmonik, Form und Instrumentierung eine Komponente des Jazz ist«. Das Time-Magazin nahm ihn um die Jahrtausendwende in die Liste der 25 einflussreichsten Amerikaner auf. Als erster und bisher einziger Jazzmusiker erhielt er im April 1997 den Pulitzer Price for Music für sein Bühnenwerk »Blood on the Fields«, das im selben Jahr mit dem JLCO und den Sängern Jon Hendricks, Miles Griffith und Cassandra Wilson auch im Wiener Konzerthaus aufgeführt wurde.

Ist denn »Jazz«, mehr als 100 Jahre alt, auch noch im dritten Jahrtausend ein brauchbarer Begriff? »Er ist das Großartigste, was je erfunden wurde. Ich werde mein Leben lang unter dieser Flagge kämpfen«, sagt Marsalis. »Jazz ist eine grandiose Welt. Sie schöpft ihre Kraft aus sich selbst, denn die intellektuellen Kreise sind dauernd damit beschäftigt, europäische Musik zu kopieren.« Und sieht Marsalis den Jazz auch in 100 Jahren noch so swingen, wie die Tradition es will, die er verwaltet? »Alles, was du über Jazz je wissen solltest, steckt schon irgendwie im Jazz aus New Orleans. Aber Musik ist eine Art Konversation, und die Art, zu konversieren wird sich immer ändern«, sagt er im Interview mit Die Welt, um gleich abzuwinken. »Ach was, das klingt mir alles zu abstrakt!« Lieber als Theorien habe er das Gefühl, am Leben zu sein. Und überhaupt: »Über Musik zu reden ist wie zu Architektur zu tanzen.« Marsalis mag dieses Zitat, das wahlweise Igor Strawinsky, Frank Zappa oder Steve Martin zugeschrieben wird. Will sagen: Es ist unsinnig, über Musik zu reden oder zu schreiben. Eben wie zu Architektur zu tanzen.

Werner Rosenberger (Abendprogramm 24, 25 & 26/02/20)

JALCO (25/02/20 Großer Saal) ©Lukas Beck

Jazz at Lincoln Center Orchestra

Wynton Marsalis Trompete Leitung

Kenny Rampton Trompete

Marcus Printup Trompete

Ryan Kisor Trompete

Chris Crenshaw Posaune

Vincent Gardner Posaune

Elliot Mason Posaune

Victor Goines Saxophon, Klarinette

Ted Nash Saxophone, Klarinette, Flöte

Camille Thurmann Tenorsaxophon, Sopransaxophon, Flöte

Sherman Irby Saxophon, Klarinette

Paul Nedzela Saxophon, Klarinette

Dan Nimmer Klavier

Carlos Henriquez Kontrabass

Obed Calvaire Schlagzeug

24/02/20 - Mo, 19.30 Uhr, Großer Saal

»Braggin’ in Brass«

special guest Thomas Gansch Trompete

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25/02/20 - Di, 19.30 Uhr, Großer Saal

»The Music of Thelonious Monk«

special guest Nduduzo Makhathini Klavier

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25/02/20 - Mi, 19.30 Uhr, Großer Saal

»The New South African Songbook: 25 Years of Democracy«

special guest Vuyo Sotashe Gesang

special guest Melanie Scholtz Gesang

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