Hoher Grad an Interaktion: das Esbjörn Svensson Trio

E.S.T ©Tobias Regel

Am 3. Dezember 2004 erhielten E.S.T. im Wiener Musik- und Jazzclub «Porgy & Bess» den mit 14.500 Euro dotierten «European Jazz Prize». Es war der erste Geldpreis für das mit Auszeichnungen in den letzten Jahren bereits reichlich bedachte Trio. Nach einem Jahr mit etwa einhundert Konzerten und großen Erfolgen bei Publikum und Kritik – auch im Rock- und Popkontext – gab es anläßlich der Preisverleihung auch noch die viel beachtete Live-Präsentation der neuesten, im vergangenen Oktober in Stockholm aufgenommenen E.S.T.-CD «VIATICUM» (ACT 9015 / edel Contraire, seit Januar 2005 auf dem europäischen Markt erhältlich). Für den Pianisten Esbjörn Svensson, den Kontrabassisten Dan Berglund und den Schlagzeuger Magnus Öström öffnete sich damit ein weiteres Kapitel auf ihrer Reise in die Tiefen des Trio-Klanges. Denn kaum jemals zuvor entwickelte ein Klaviertrio einen so hohen Grad an Interaktion, eine dermaßen starke Intensität wie E.S.T. Svensson, Berglund und Öström schöpfen aus denselben Quellen: aus der skandinavischen Folklore, aus Rock und Pop, aus der Klassik und letztlich aus der hundertjährigen Jazztradition. Dennoch ist das Spiel der drei Virtuosen vor allem geprägt durch die europäische Ästhetik.

Vor etwa zehn Jahren erschien das erste E.S.T.-Album des schwedischen Trios beim deutschen Label ACT (Österreich- Vertrieb druch edel records). Mit jeder weiteren Veröffentlichung stellten sich große, ja, geradezu spektakuläre Erfolge ein, und überall sorgten die Live-Konzerte für volle Häuser. 2004 absolvierten die drei Schweden eine Tournee durch die USA, die gleichermaßen zu einem Erlebnis für die Musiker und für das Publikum wurde. Die oben erwähnte neue CD «VIATICUM» – ein Geniestreich – enthält durchwegs eigene Kompositionen der Beteiligten, die auf dieser Tournee mehrheitlich aufgeführt wurden und auch heute Abend zu hören sind.

E.S.T

Im führenden deutschen Jazzmagazin «Jazz Podium» äußerte der Pianist Esbjörn Svensson zur Frage der Chefredakteurin Gudrun Endress, ob denn Intellekt und Emotionalität in der Musik von E.S.T. im Einklang zueinander stünden: «Ich hatte Lehrer, die sehr intellektuell an die Musik herangingen. Sie komponierten auch ganz aus diesem intellektuellen Standpunkt heraus, kreierten ausgeklügelte Dinge, die von einer Menge Theorie untermauert sind. Doch das, was ich wahrnahm, berührte mich nicht. Ich möchte Musik hören, in der eine Geschichte erzählt wird. Ich improvisiere auch am liebsten in der Musik. Ich bin kein reiner Jazzmusiker, ich höre auch heute weit mehr klassische Musik – Bach, Chopin, Bartók, Arvo Pärt – als Jazz». Und tatsächlich sind in der Musik von Svensson und seinen Kompagnons hörbar Einflüsse von Johann Sebastian Bach festzustellen. Dazu der Pianist im Interview: «Bach wurde zu einem starken Einfluß. Das ist volle Absicht, denn seine Musik ist so phantastisch, so reichhaltig. Sie wurde vor mehreren Jahrhunderten geschrieben und hat heutzutage noch eine große Bedeutung, nicht zuletzt für mich. In der Musik, die ich für unser Trio komponiere, sind viele Einflüsse von Bach. Ich bin wahrscheinlich viel stärker durch Bachs Musik geprägt als durch Jazzmusik.»

Svenson Esbjörn ©Wolfgang Gonaus

In einem anderen Gespräch, aufgezeichnet im Jazzmagazin «Jazz Thing», äußerte sich der Künstler zur Problematik «europäischer Kreativität und amerikanischer Kontrolle» folgendermaßen: «Wir brauchen die amerikanischen Jazzstars auf den europäischen Festivals nicht, wir haben das alles schon gehört. Jetzt sollte die kreative europäische Szene eine Chance bekommen. Mit dem alten Jazz kommen wir jetzt nicht mehr weiter. Wenn Branford Marsalis sagt, Jan Garbarek mache keinen Jazz, weil er norwegische Folkidiome in seiner Musik verwendet, okay – ich frage mich nur, wo die Grenzlinie gezogen werden soll. Oder heißt das nur: Alle, die weitergehen, die die Grenzen des alten Jazz überschreiten, sollten ihre Musik anders nennen? Ist das der Vorschlag, progressive Musik vom Jazz abzutrennen? Ich bin froh, daß wir nicht in diesen Kategorien denken. Wir, das E.S.T., sind grundsätzlich offen und freuen uns über jedes Rockfestival, das uns einlädt. Wir schätzen Jazzfestivals, die auch Pop- und World-Music-Stars präsentieren.»

Esbjörn Svensson und seine Musiker sind daran interessiert, ihre eigene Sprache weiterzuentwickeln. Es geht ihnen dabei um die ständige Erforschung neuer Möglichkeiten, tiefer in den Klang einzusteigen. Auf dem achteinhalb Minuten langen Svensson- Stück «The Unstable Table & The Infamous Fable», enthalten auf der neuen CD, wurde etwas grundlegend Neues in der Musik des Trios versucht. Der Pianist Svensson spielt Triolen, während der Schlagzeuger einen Sechzehnteltakt auf der Snaredrum spielt und daraus einen neuen Groove entstehen läßt, und der Kontrabassist improvisiert darüber. Insgesamt erweckt das sehr konzentriert gespielte Stück (wie auch das restliche Album) den Eindruck, daß die Musik eher «schwer» zu spielen ist und dennoch den Beteiligten Spaß beim Ausüben macht. Bassist Dan Berglund meinte zur CD «VIATICUM» kürzlich: «‹VIATICUM› ist unserem Live-Modus verdammt nahe. Ich habe das Gefühl, daß die Soli intensiver und länger sind, also eher Konzertmaßstab haben, und daß wir insgesamt ein wenig tapferer sind als auf unserer vorletzten CD ‹Seven Days of Falling›.»

E.S.T. ©Wolfgang Gonaus

Die Musik von E.S.T. ist jedenfalls ein sehr individueller und innovativer Beitrag zum aktuellen Jazzgeschehen. Ob er sich als beispielgebend und schulemachend erweist, wir die nähere Zukunft zeigen. Das heutige Konzert wird in jedem Fall die magische Ausstrahlung und zuweilen hypnotische Anziehungskraft des außergewöhnlichen Klaviertrios vermitteln.

Klaus Schulz (Abendprogramm 21. April 2005)


Donnerstag 21. April 2005 · 19.30 Uhr Im Rahmen von «The Art of Jazz Piano» Mozart-Saal

E.S.T. – Esbjörn Svensson Trio 

Esbjörn Svensson Klavier
Dan Berglund Kontrabaß
Magnus Öström Schlagzeug 

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