Dianne Reeves

Dianne Reeves © Jerris Madison

Ihr Timbre: unverwechselbar. Ihre Musikalität: enorm. Ihre Ausstrahlung: faszinierend. Ob Blues-Klassiker wie »Stormy Weather«, Latin, Gospel, melancholischer Bar-Jazz oder eine Hommage auf Sarah Vaughan: Dianne Reeves steht für Jazz, der über die Ohren direkt ins Herz geht.

Große Popularität brachte ihr die Rolle als croonende Sängerin in George Clooneys Gerichtsdrama »Good Night, and Good Luck« (2005): »Das war eine wunderbare Gelegenheit, Songs der späten 40er- und frühen 50er-Jahre zu singen. Mehr noch: Es war eine Hommage an diese Künstler und an die Geschichte des Jazz. George hat die Musik so ausgesucht, dass sie als erzählendes Element für den Film funktioniert.«

Dianne Reeves hat etwas von der dunkelsüßen Mater dolorosa Billie Holiday, erinnert mit ihrem virtuosen, lautmalerischen Scat-Gesang an Ella Fitzgerald und liebt wie einst Shirley Horne Song-Texte, die emotionalen Raum schaffen. Deshalb sucht sie sich ihr Repertoire auch meist nach den Texten aus. Sie begann in kleinen Clubs zu singen und schätzt bis heute deren Intimität, die sie auch bei Auftritten in großen Hallen herzustellen versucht. 1956 in Detroit geboren und aufgewachsen in Denver, Colorado, wo sie im Radio oft Ray Charles und Nat »King« Cole hörte, zählt sie bereits seit den späten 80er-Jahren neben Cassandra Wilson und Dee Dee Bridgewater zur Top-Liga der afro-amerikanischen Jazz-Sängerinnen.

Sie verfügt über alles, was ein Bühnenstar braucht: eine warme Ausstrahlung, eine starke, seidige und elastische Alt-Stimme, Improvisationstalent, um auf ihre Umgebung und die musikalischen Einwürfe ihrer Band spontan zu reagieren und die Fähigkeit, mit ihrem Publikum zu kommunizieren. Kein Wunder, dass sie immer wieder beteuert: »Singen ist in erster Linie Freiheit für mich. Freiheit des Geistes, Freiheit in der Kommunikation.«

Dianne Reeves (29/04/19 Großer Saal) © Lukas Beck

Der Star-Trompeter Wynton Marsalis schwärmte für Reeves: »Sie besitzt eine der kraftvollsten, entschlossensten und präzisesten Stimmen nicht nur unserer Zeit, sondern aller Zeiten.« Und eine Präferenz für Lieder auf die Schönheit und die Glücksmomente im Leben. Hoffnung zu verbreiten, ist ihr Minimalziel. Im Idealfall will sie die Menschen glücklich machen: »Die Menschen kommen zu meinen Konzerten, weil sie sich nach den Dingen hinter den Liedern sehnen: das Gute in der Welt.« Sogar wenn sie Easy Listening zelebriert, gilt: aber bitte mit Anspruch.

Soulig-emotionale Ausdruckskraft und lupenreine Jazz-Phrasierung kennzeichnen bereits »A Little Moonlight« (2003), ihr erstes Album für das Blue-Note-Plattenlabel. Eine »Zeitreise durch das Leben und die Liebe« nennt sie ihr Album »When You Know« (2008) und singt dabei von der Liebe in allen Spielarten, vom ewigen Tagtraum bis zur nie ganz unkomplizierten reifen Beziehung. Sinnlich und leidenschaftlich. In großen Tönen mit einem herzhaften »Oh, Babybabybabieeee, please!« oder hingehaucht: »I never let you go …« mit einem Meer aus Traurigkeit in der Stimme.

Nancy Wilsons Hit »Over the Weekend« klingt frisch, Peggy Lees Evergreen »I’m in Love Again« sogar brillant, »Midnight Sun« hat einen fast meditativen Groove neben dem Motown-Hit »Just My Imagination«, dem Michel-Legrand-Klassiker und Trauergesang über den Verlust des Geliebten »Windmills of Your Mind« und dem putzmunter rollenden Blues-Boogie »Today Will Be a Good Day«, den die Reeves für ihre Mutter geschrieben hat – als ein Plädoyer für Lebenslust und Altern in Würde.

Optimismus suggeriert auch »Beautiful Life«, eine 2015 mit einem Grammy in der Kategorie »Best Vocal Jazz Album« ausgezeichnete Loblieder-Sammlung auf die Schönheit des Lebens: Neben Nummern von Bob Marley (»Waiting in Vain«), Esperanza Spalding (»Wild Rose«) und Ani DiFranco (»32 Flavors«) interpretiert sie auch Eigenkompositionen wie »Tango«, instrumental gesungen, mit einer überraschenden »Mundtrompete« von Raul Midón. Das ist Soul-Pop-Jazz wie ein Blick in den Rückspiegel: Nicht Retro pur, sondern aus der Gegenwartsperspektive interpretiert. Ins Gemüt geht schon ihre seelenvolle Interpretation von »I Want You«, einem Klassiker von Marvin Gaye. Dianne Reeves über ihren Lieblingssänger: »Er hatte Soul, aber man hört bei ihm auch heraus, wie sehr seine Musik vom Jazz erfüllt war.«

Dianne Reeves (29/04/19 Großer Saal) © Lukas Beck

Nicht zu vergessen ihr großes Vorbild: Sarah Vaughan. »Als ich sie zum ersten Mal hörte, war ich beeindruckt von ihrem breiten Stimmspektrum und ihrem Ausdruck«, sagt Reeves. »Sie besaß einen unglaublichen Stimmumfang und brachte in jeder Lage eine Vielzahl von Farben und Nuancen hervor. Sie war sich bewusst, dass ihre Stimme ein Instrument war, aber sie nutzte sie nicht, um andere Instrumente zu imitieren. Sie kannte sich bestens mit Harmonien aus, beschritt melodisch ganz eigenständige Wege und war immer sehr spontan. Ihre Gesangsweise brachte mich dazu, meine eigene Stimme anders wahrzunehmen und zu entwickeln. Sie hat mich schließlich dazu gebracht, meinen eigenen Weg zu finden. Deshalb ist Sarah Vaughan auch so wichtig für mich. Wenn uns etwas gemeinsam ist, dann wohl das Bewusstsein für die Einzigartigkeit jeder Stimme. Die Persönlichkeit hinter deiner Stimme in den Vordergrund zu bringen, war eine der Botschaften von ihr, die ich beherzigt habe.«

Live zeigt die fünffache Grammy-Gewinnerin stets Vielfalt mit ihrer seit vielen Jahren bestens eingespielten Band – übrigens in gleicher Besetzung wie zuletzt im Oktober 2017 im Wiener Konzerthaus mit einem farbenreiches Programm, das neben Jazzklassikern auch Musik von Leonard Cohen und Bob Marley enthielt. Peter Martin (Klavier), der von der Bossa Nova geprägte Brasilianer Romero Lubambo (Gitarre), Reginald Veal (Bass) und Terreon Gully (Schlagzeug) weigern sich, die Rolle eines allzu harmonischen Sofas zu übernehmen, auf dem sich die Stimme übermäßig bequem räkeln könnte.

Dianne Reeves schreibt selbst hervorragende Songs. Aber ebenso gut gibt sie Hits wie Joni Mitchells »River« einen eigenen Dreh. Musikalische Scheuklappen, Berührungsängste kennt die 62-Jährige dabei ebensowenig wie Schubladen oder einen Gegensatz zwischen Jazz und Pop: »Jazz kehrt in vielerlei Hinsicht zu seinen Wurzeln zurück. In der Swing-Ära meinten Jazz und Pop genau dasselbe. Zu dieser Musik zu tanzen, war damals nicht geduldet – es war sogar erwünscht.«

Worum geht es ihr als Künstlerin? »Gefühle auszudrücken«, antwortet sie. Kurz und bündig. Nachsatz: »Und ehrlich soll klingen, was ich singe. Das ist überhaupt das Allerwichtigste an der Musik: Ehrlichkeit. Außerdem ist Lernen Teil des Erlebnisses im Jazz. Erst dadurch wird man zu der Person, die man werden möchte.« Und Songs, die sie auswählt, macht sie zu ihren eigenen: »Das ist es, was es heisst, eine Jazzmusikerin zu sein.«

Werner Rosenberger (Abendprogramm 29/04/19)


29/04/19 - Mo, 19.30 Uhr, Großer Saal

Dianne Reeves Gesang

Peter Martin Klavier, Musikalische Leitung

Romero Lubambo Gitarre

Reginald Veal Bass

Terreon Gully Schlagzeug

Paul Boothe Tontechnik