Chick Corea

»Piano solo concert«

Chick Corea © Aaron Meekcoms

»Piano solo is not something I do very often,« sagt Chick Corea.  Dieses Statement findet sich gleich zu Beginn auf seiner 2014 veröffentlichten CD mit Solo-Piano-Aufnahmen. Und auch wenn dementsprechende musikalische Auseinandersetzungen im Alleingang bei vielen Jazzpianisten und -pianistinnen im Lauf ihrer Karriere zumindest punktuell in den Fokus rücken, – zu verführerisch scheint der weitreichende Horizont an Möglichkeiten, den dieses Instrument anbietet und der allenfalls noch von der Orgel übertrumpft wird – mag in diesem Kontext der Name Chick Corea vielleicht nicht unbedingt als allererste Assoziation aus dem Gedächtnis abgerufen werden. So könnten zunächst – je nach Hörerfahrung, (stilistischen) Präferenzen und der Zusammensetzung der persönlichen Tonträgersammlung – wohlmöglich die rasanten Läufe Art Tatums, der unverkennbare, perkussive Anschlag und rhythmische Drive, den Thelonious Monk den schwarz-weißen Tasten entlockte, oder in jüngster Zeit die mit instrumentaltechnischer Brillanz und Komplexität geimpfte Hinwendung zu einem schier grenzenlosen, sich von Bach bis Radiohead erstreckenden Interessenspektrum, wie es beispielsweise Brad Mehldau vormacht, als pianistische Monologe vor dem inneren Ohr erscheinen.

Finden wird sich allerdings auf den vorderen Rängen einer Liste markanter Solo-Pianisten im Jazz mit Gewissheit auch der Name von Coreas kurzzeitigem Bandkollegen, der sich Anfang der 1970er-Jahre ebenfalls im Einflussbereich von Miles Davis bewegte: Keith Jarrett. Jedoch eröffnet seine – in mehrdeutiger Weise – singuläre Auseinandersetzung mit sich und dem Instrument bereits seit Jahrzehnten einen ganz eigenen, unvergleichlichen Kosmos; ungeachtet dessen, dass sein unter schwierigen Bedingungen zur Aufführung gebrachtes und 1975 veröffentlichtes »The Köln concert«, zum Kassenschlager avanciert, bis heute die Regale von auch weniger jazzaffinen Haushalten schmückt.

Chick Corea

Aus umgekehrter Perspektive betrachtet, sind es auf den ersten Blick sodann andere, vornehmlich nicht rein solistische Projekte, mit denen der 1941 geborene Armando Anthony – besser bekannt als Chick Corea – im Lauf der Zeit auf sich aufmerksam machte. Angefangen von der Zusammenarbeit mit Stan Getz über die bedeutende Trio-Einspielung »Now he sings, now he sobs«, dicht gefolgt von der Beteiligung an der von Miles Davis maßgeblich initiierten und mitgestalteten Jazz-Rock- bzw. Fusion-Bewegung. So findet sich auch Coreas Name auf der Liste der Mitwirkenden im Rahmen der beiden entsprechenden Davis-Meisterwerke »In a silent way« und »Bitches brew«. Dabei hinterließ die relativ kurze Zeit im Orbit von Davis nachhaltigen Eindruck auf den jungen Pianisten und Keyboarder: ein Impuls, der, zwischenzeitlich kontrastiert von einem Verfolgen freierer Spielweisen an der Seite von Dave Holland und Barry Altschul, zu dem ruhmreichen und aus kommerzieller Sicht sehr erfolgreichen Weg führen sollte, den Chick Corea mit »Return To Forever« einschlug und den er durch die im Lauf der Zeit unterschiedlich gewichtete Auseinandersetzung mit Elektronik und Einflüssen aus Rock und Latin Music pflasterte. Ein breitgefächertes Interessenspektrum und eine sich daraus ableitende Vielschichtigkeit sollten über Jahrzehnte hinweg bis heute das künstlerische Schaffen Coreas auszeichnen: von den Duo-Projekten mit Gary Burton, der Gründung verschiedener Ensembles wie seiner Elektric und Akoustic Band und dem Wiederbeleben des Trios mit Miroslav Vitous und Roy Haynes über die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Persönlichkeiten wie beispielsweise Steve Gadd, mit dem er zuletzt im Wiener Konzerthaus gastierte, bis zur Beschäftigung mit den Kompositionen von Mozart, Skrjabin und Bartók.

Doch sollen all diese Verzweigungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei genauerem Hinsehen eben auch bei Chick Corea das Solo-Piano einen nicht unwichtigen Platz und Stellenwert einnimmt – und dabei nicht als supplementärer Begleiter, sondern als stets aufs Neue geschätzte und gesuchte Ausdrucksform innerhalb seiner künstlerischen Entwicklung. Vor diesem Hintergrund setzten die 1971 aufgenommenen und kurz darauf auf dem Label ECM veröffentlichten »Piano improvisations« eine erste wichtige Wegmarke. Weitere Soloaufnahmen folgten beispielsweise mit »Expressions« von 1994 und dem im Jahr 2000 veröffentlichen Doppelalbum, das wie auch die anfänglich erwähnte CD von 2014 Eigenkompositionen, die Interpretation von Standards inklusive der damit einhergehenden Huldigung jazzpianistischer Größen wie Thelonious Monk oder Bud Powell sowie Stücke von klassischen Komponisten präsentiert. Auf diese Weise vereinen und transportieren sich Erfahrungen, Inspirationen, Konzepte und vor allem auch Auseinandersetzungen: mit dem Instrument, den individuellen technischen Ansprüchen, Zielen und Herausforderungen, mit Klangvorstellungen und deren Umsetzung, mit Vorbildern und Einflusssphären, mit der Vergangenheit und Gegenwart, mit Möglichkeiten und Limitierungen, mit Stilen, Spielweisen und Ästhetiken. Dass das Solo-Piano nicht als isolierte Eigenart, sondern als integraler Bestandteil im Œuvre von Chick Corea fungiert, lässt sich zum Beispiel bei den 1983 eingespielten »Children’s songs«, einer Sammlung von Miniaturen, nachvollziehen, die sich teilweise wie ein roter Faden durch Coreas Werk ziehen – sich vereinzelt bereits auf zurückliegenden Alben finden und im weiteren Verlauf immer mal wieder zum Vorschein kommen.

Chick Corea © Toshi Sakurai

Ungeachtet der kompositorischen Ausgangsbasis sind es allerdings nicht zuletzt zwei Aspekte, die der spezifischen Musiziersituation des Solo-Pianos im Jazz einen unerschöpflichen Spielraum offerieren und dabei als spannungserzeugender Motor sowohl Chance als auch Wagnis darstellen: einerseits eine durch den Wegfall kommunikativer Beziehungen und formaler bzw. strukturgebender Verbindlichkeiten gesteigerte Freiheit und Unabhängigkeit in der spontanen Gestaltung und Steuerung des musikalischen Geschehenes bei damit einhergehender Alleinverantwortung in der Erzeugung und Umsetzung kreativer Impulse; andererseits die vom Instrument gegebene Möglichkeit einer polyphonen Spielweise, die dem Pianisten oder der Pianistin eine multifunktionale Rolle anbietet, indem (Bass-)Begleitungen, Melodien, Rhythmen und Harmonien gleichermaßen und gleichzeitig erzeugt werden können. Somit treffen Risiken auf Optionen, oder wie Chick Corea im Nachtrag zu seinem eingangs angeführten Statement ergänzt: »I enjoy it. It gives me a chance to do whatever I am going to do.«

Martin Schütz (Abendprogramm 18/11/18)


18/11/18

Chick Corea »Piano solo concert«