Wolfgang Muthspiel

Large Ensemble

»Eine große Kunst des Komponierens für eine Jazzband besteht darin, eben nicht zu viel zu schreiben. Man muss immer genug Freiraum lassen für die tollen Improvisatoren, weil sie ja auch ihre wunderbaren Stimmen einbringen. Man lädt als Komponist dazu ein.«

Wolfgang Muthspiel © Laura Pleifer

Soviel Wolfgang Muthspiel war noch nie: Erstmals stellt ein »Large Ensemble« in hochkarätiger Besetzung dafür eigens bearbeitete Kompositionen des Ausnahmegitarristen im Konzerthaus vor.

Der gebürtige Steirer, Jahrgang 1965, pflegt seinen elegant-fließenden Stil, einen oft lyrischen, zurückhaltenden Klang, stets fein abgestimmt auf seine Mitmusiker. Etwa im Trio bei »Driftwood« (2014): Für das Album entwickelt er eine zwischen romantischer Liedhaftigkeit und expressionistischen Soundscapes wechselnde Improvisationsmusik, um die reichen Klangqualitäten der elektrischen und akustischen Gitarre auszuloten. Charakteristisch für diese Aufnahmen »ist eine organische, vielschichtige Klanglandschaft mit einer gewissen Tiefenschärfe und sehr bewusster Dynamik«, sagt Muthspiel. »Etwas Besonderes sind die Stücke, bei denen ich Akustikgitarre spiele – weil es ein Instrument mit einem gewissen klassischen Klangideal ist, hier aber in einem absoluten Jazzkontext eingesetzt wird.«

Oder im All-Star-Quintett, erweitert um den Pianisten Brad Mehldau und den Trompeter Ambrose Akinmusire: Dessen CD-Produktion »Rising Grace« (2016) war mit songartigen Kompositionen und Improvisationen zwischen Poesie und subtiler Virtuosität angesiedelt. »Das Stimmungsbild des Albums«, schrieb das DownBeat-Magazin, »ist meditativ, doch optimistisch und beschwingt. Durchsickernde Grooves treiben den Flow voran, während elementare Melodien und klassische Harmonien als Wegweiser dienen.« Für ein Quintett statt für ein Trio mehrstimmige Musik zu schreiben, ist für den gebürtigen Steirer luxuriöser: »Polyphonie ist einfach interessant für einen Komponisten. Das Hauptaugenmerk lag bei mir immer schon auf der Harmonik.« Und die Improvisationen schmiegen sich so in die Stücke, als wären sie bereits aufgeschrieben gewesen.

Entscheidend für den Entstehungsprozess ist: Als klassisch ausgebildeter Musiker skizziert der Gitarrist seine Ideen zunächst auf Notenpapier und schickt sie an seine Mitspieler, bevor die Proben beginnen. Gemeinsam gehen die Musiker dann wieder kreativ an die Kompositionen des Bandleaders heran, indem sie die Formen ständig ausweiten, Melodien mit neuen Harmonien versehen, Themen ausschmücken und sich in die Struktur der Stücke vertiefen.

Wolfgang Muthspiel © Laura Pleifer

»Eigentlich läuft das bei mir so ab, dass ich, wenn ich für ein Projekt schreibe, die Band und die Klänge der einzelnen Musiker sozusagen schon im Kopf habe. Dann ergibt sich meistens das Komponieren aus einem gewissen absichtslosen Spiel mit der Gitarre allein. Heraus kommen Zellen, die vielleicht Bausteine sind von Stücken. Da denke ich auch schon wieder an die ganze Band und kann dann genauer ausarbeiten, wer was spielt und wie viel man fixieren will. Eine große Kunst des Komponierens für eine Jazzband besteht darin, eben nicht zu viel zu schreiben. Man muss immer genug Freiraum lassen für die tollen Improvisatoren, weil sie ja auch ihre wunderbaren Stimmen einbringen. Man lädt als Komponist dazu ein.«

In der aktuellen Großbesetzung ist Ambrose Akinmusire als Gastsolist erneut dabei. Er hat schon mit Terence Blanchard, Vijay Iyer, Esperanza Spalding und Jason Moran gearbeitet: »Der fesselnde Klang, den er seiner Trompete entlockt, bewegt sich irgendwo zwischen einem gedämpften Schrei und einem eloquenten Selbstgespräch«, schrieb die New York Times.Muthspiel über den 37-Jährigen aus Kalifornien, der sich binnen weniger Jahre als einer der herausragenden jüngeren Musiker des zeitgenössischen Jazz etabliert hat: »Mir gefällt nicht nur seine unverkrampfte Art zu spielen und sein ganz eigener Ton, sondern auch die Art und Weise, wie er spontan gegenläufige Melodiefolgen erfindet, meine Kompositionen ausweitet und ergänzt.« Eine lange musikalische Partnerschaft pflegt Muthspiel, der erprobte Grenzgänger, der das Gewöhnliche und Austauschbare stets erfolgreich gemieden hat, auch mit dem spanischen Schlagzeuger Jorge Rossy, der im Trio von Brad Mehldau  bekannt geworden ist.

Beim »Large Ensemble«-Projekt fungiert Guillermo Klein, 1969 in Buenos Aires geboren, als Dirigent und Arrangeur: Ihn kennt Muthspiel noch von seinem Studium am Berklee College of Music in Boston. Der Argentinier hat mit seiner eigenen Band schon an Muthspiels musikalischer Weltreise »Vienna, World« (2015) mitgewirkt. Er bearbeitet Kompositionen des Gitarristen nun eigens für die Großformation mit Musikern aus neun Nationen und kreiert mit dem Streichquartett um den Violinisten Florian Willeitner und den Cellisten Florian Eggner eine Art Kammermusik, die Jazz und Klassik kongenial vereint.

Ambrose Akinmusire © Pierrick Guidou

Die Stücke durchleben eine Metamorphose. »Es entsteht etwas Neues, Aufregendes«, ist Muthspiel überzeugt. »Wir Jazzer haben es da zugleich leichter und schwerer: Anders als die Kollegen in der Klassik haben wir zwar weniger Struktur vorgegeben, aber weitaus mehr Freiräume zum Improvisieren – mit immer neuen Mitstreitern. Das ist auch für einen selbst unterhaltsam, herausfordernd, spannend.«

A propos Mitstreiter: Guillermo Klein versteht sich bestens darauf, den musikalisch-emotionalen Gehalt von Stücken in den Vordergrund zu stellen und überlässt alles andere der Musikalität und Eigenverantwortung jedes einzelnen Musikers. Bei ihm ist Musik gleichzeitig modern und traditionell, gehalt- und humorvoll, intellektuell stimulierend aber auch sehr emotional. Ähnliches wie im Herbst im Wiener Konzerthaus hat er bereits im Frühling 2014 mit »Beyond Mechanics« beim offbeat-Festival in Basel mit Erfolg realisiert: ein zeitgemäßes, sinnliches, melodiöses Werk für ein gemischtes Orchester. Unter seiner Leitung wurde es von einem 27-köpfigen klassischen Ensemble und der 18-köpfigen Jazzcampus Big Band u. a. mit Wolfgang Muthspiel, Adrian Mears und Jorge Rossy uraufgeführt. Bestechend daran: Klassisches und Jazz waren gekonnt zusammengeführt. Es spielten nicht die einen nach Noten, während die anderen improvisierten, sondern beide Parts spielten nach Noten und improvisierten.

»Herausforderungen sind immer gut«, findet Muthspiel. »Die Möglichkeit zu suchen, um dorthin zu kommen, wo etwas Besonderes herrscht.« Dabei gehe es weniger ums handwerkliche Gelingen. Viel wesentlicher sei es, »in die Tiefe der Musik vorzudringen.« Sein Lustprinzip ist: »Wo es am hellsten leuchtet, dort gehe ich hin.« Dann ist Muthspiel glücklich. Im Moment ist es das große Format. »Und dass man nie genau weiß, wo der Weg noch hinführt, macht die ganze Sache erst interessant, auch als Interpret.« 

Werner Rosenberger (Abendprogramm 06/10/19)

Wolgang Muthspiel © Laura Pleifer

06/10/19 - So, 20.00 Uhr, Großer Saal

Wolfgang Muthspiel Large Ensemble

Wolfgang Muthspiel Gitarre

Ambrose Akinmusire Trompete

Matthieu Michel Trompete, Flügelhorn

Reto Suhner Altsaxophon

Julian Argüelles Tenorsaxophon

Domenic Landolf Tenorsaxophon, Bassklarinette

Shannon Barnett Posaune

Sergio Wagner Waldhorn

Florian Willeitner Violine

Aoife Ni Bhriani Violine

Aurore Nozomi Cany Viola

Florian Eggner Violoncello

Colin Vallon Klavier

Dominic Girod Kontrabass

Jorge Rossy Schlagzeug

Guillermo Klein Dirigent

Ronald Matky Tontechnik

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Wussten Sie, dass …

Wolfgang Muthspiel sowohl an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz als auch – mittels eines Stipendiums – am Berklee College of Music studierte? Er schloss sein dortiges Studium 1989 mit »Magna cum laude« ab und traf in Berklee auch auf Gary Burton, der ihm den Gitarrenpart in seinem Quintett anbot und damit jene Position, die seit Pat Methenys Ausscheiden 12 Jahre lang unbesetzt gewesen war.

Wolfgang Muthspiel neben seinen Jazz-Projekten auch als Komponist für zeitgenössische Ensembles tätig ist? So erhielt er beispielsweise Kompositionsaufträge vom Ensemble für Neue Musik/Zürich, vom österreichischen Kunst- und Kulturministerium, vom Klangforum Wien und vom Ensemble Marimolin aus Boston.

»Wolfgang Muthspiels so manniggestaltige wie formbewusste Art des Musizierens und Komponierens steht über den Zeiten und Moden.«
»Frankfurter Rundschau« (Stefan Michalzik)

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